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Meine Bar

Meine Eltern haben mir vor Jahren einen Rohbau geschenkt; und damit mein Bewusstsein. Die Fassade und den Ausbau habe ich mit ihrer Hilfe gestalten können und heute führe ich eine Bar. Anfangs dachte ich, dass ich mir meine Gäste aussuchen würde, doch tatsächlich kenne ich die wenigsten. Denn meine Bar ist so dunkel, dass ich kaum ein Gesicht erkennen kann. Nur hier und da, wo Gäste Flammen zünden, tauchen Kerzen und Fackeln die unmittelbare Umgebung in schwummriges Licht. Weil meine Bar immer Gäste trägt, lösche ich die Flammen nie. Tatsächlich könnte ich es nicht, selbst wenn ich wollte; oft wünsche ich sogar, es wäre heller. Feuerzeug oder Streichholz habe ich keine. Gelegentlich befruchte ich frisches Wachs mit einem brennenden Docht, um Gesprächen mehr Raum zu geben. Doch diese Flammen sterben, sobald ich mich abwende. Ich habe schon versucht, fremde Kerzen zu löschen, wenn mir das Angeleuchtete zuwider war. Aber diese Macht gibt mir meine Bar nicht. Nur die Gäste entzünden und löschen Flammen und so unterliegt das Flackern einer ständigen Wanderung durch meine Bar.
Täglich versorge ich meine Gäste mit dem Üblichen. Dabei kann ich nur jenen, die ich im blassen Licht erahnen kann, besondere Aufmerksamkeit schenken; mit ihnen unterhalte ich mich gerne und gebe ihnen Namen wie etwa Schlagfertig oder Emphatisch. Und die Verwunderung machte mich einst darauf aufmerksam, dass ich sie untereinander nie sprechen höre. Nur in meiner Gegenwart unterhalten sie sich miteinander. Dann rücken einige Schattengestalten schüchtern an das flackernde Herz des Gesprächs. Gemeinsam mit dem Wohlwollen beobachte ich, wie die Flammen immer größer werden, je länger die Gespräche dauern. Und Neugier kitzelt meinen Puls umso gnadenloser, je mehr Falten und Pickel und Sommersprossen und Augenringe und Lippen der Anwesenden vom zuckenden Licht bespielt werden. Ich wünschte, diese Gespräche in die Länge ziehen zu können, aber sie erfordern viel Kraft und ich rede mir ein, nach den anderen Gästen sehen zu müssen. Und so serviere ich als letzte Runde immer eine Ausrede: hübsch angerichtet, aber gehaltlos. Und wie immer verstummen meine Gäste, sobald ich mich von ihnen abwende. Nur selten kommen die lichtgetragenen Gespräche von selbst zur Ruhe, ohne einen gewaltvollen Schnitt meinerseits. Die wenigen Situationen dieser Art sind auf eigentümliche Weise friedlich. Niemand hat das Bedürfnis, etwas zu sagen, und doch ist der Raum frei von der Angst, nichts zu sagen zu haben.
Mich stichelt die Scham nicht nur, wenn mir meine gehaltlosen Ausreden auch noch geschmacklos scheinen; am stärksten erwischt sie mich aber hinter dem Tresen, wenn ich lieber allein auf meinem Barhocker sitze, als meine Gäste miteinander bekannt zu machen. Es fühlt sich an, als würde ich mich vor den Seiten an mir verstecken, die mich in Bewegung halten; als würde ich mich nicht mit den Gästen auseinandersetzen wollen, die meine Bar beleben. Wenn ich hinter dem Tresen auf meinem Barhocker sitze, lasse ich meine Fantasie in den dunklen Ecken meiner Bar toben. Ich gebe mich Träumereien hin; welche Farben und Formen von den Wänden tropfen könnten; wer mit wem hübsch tanzen würde; ob wer die Bar genauso führen könnte wie ich. Die Freude gibt mir und der Geduld gerne einen aus, wenn Gäste scheinbar inspiriert von meinen Träumereien die Wände neu bestreichen.
Es gibt auch heruntergekommene Ecken in meiner Bar. Sie liegen meistens im Dunkeln, außer hässliche Gäste beleuchten sie. Diese Gäste sind mit der Angst befreundet, bringen den Ekel mit oder verlangen nach Irritation. Die meisten von ihnen verehren die Unsicherheit. Den mit der Fackel nenne ich Rücksichtslosigkeit. Mit dem Licht, das er unmittelbar vor dem Gesicht hält, blendet er die hässlichen Gäste, sodass sie den restlichen Raum nicht wahrnehmen und sich so für die einzigen Gäste in meiner Bar halten. Das Verständnis verlässt mich dann, wenn er mich genauso blendet, sodass auch ich glaube, sie seien die einzigen Gäste meiner Bar. Ich habe schon versucht, sie gewaltsam hinauszuschmeißen und andere gebeten, ihre Plätze einzunehmen. Ich habe versucht, ihre Flammen zu löschen, damit ich sie wenigstens nicht sehen muss. Nichts davon hat funktioniert. Sie fanden den Trotz und kamen immer wieder. Sie fanden meinen Freund, die Dreistigkeit, und entzündeten jeden Docht, der sich in ihre Nähe wagte. Immer greller leuchteten die hässlichen Ecken. Die Wut und die Verzweiflung brachten mich dazu, den Tisch, trotz seines aggressiven Lichts, nicht zu bedienen. Daraufhin setzten jene Gäste den Tisch in Flammen. Ich musste alles stehen und liegen lassen und die Panik sprintete mit mir zur Katastrophe, entriss den Gästen ihre Getränke und schüttete sie auf den Tisch; ich riss meine Kleider vom Leib und erstickte damit das restliche Feuer. Nackt und dreckig sahen mich alle. Die Hässlichen schauten auf mich hinab und lachten. Die Lustigen hatten genug Anstand, erst einige Wochen später ihre Witze zu reißen. Die Fröhlichen schauten weg. Ich schrie und weinte und hasste sie noch mehr. Als ich von der Feindseligkeit gegenüber meiner eigenen Gäste erschöpft war, musste einsehen, dass ich sie nie mehr ignorieren könnte.
Wenn sie mir unerträglich werden, muss ich mich zu ihnen setzen. Diese Begegnungen sind schweißtreibend. Doch faszinierenderweise glitzern jene Wasserperlen, die die Angst aus meinem Körper presst, im Kerzenlicht. Sie brechen das warme Licht in bezaubernder Komplexität, während sie auf den Tisch zwischen uns fallen. Während dieser Gespräche verstehe ich, was Hässlichkeit in meine Bar treibt. Wenn ich mich zu ihnen setze und die Geduld einlade, erzählen sie mir bereitwillig, wie sie hergekommen sind, wie lange sie bleiben und für den Fall, dass sie vorhaben zu gehen, wie ich ihnen dabei helfen kann. Während dieser Gespräche verstehe ich, was ich Hässlichkeit nenne. Nachdem sich das Verständnis zu uns gesellt hatte, habe ich vielen der hässlichen Gestalten zur Tür geholfen und anderen einen Stammplatz in meiner Bar eingerichtet.
Wenn ich hinter dem Tresen auf meinem Barhocker sitze, male ich mir manchmal aus, alle Flammen zu einem großen Feuer aufzutürmen. Ich würde alle Stühle zerbrechen, sodass auch die Gäste, die sich an die schattigen Ecken meiner Bar schmiegen, aufstehen und zum Feuer kommen müssten. Auch vergangene und potentiell zukünftige Gäste würden zu diesem Anlass meine Bar besuchen und Feuer werfen. Eine schöne Vorstellung: ein Lagerfeuer, bei dem alle Gesichter erhellt sind - ein Fest. Ich würde hören, wie sich unterhalten. Ich könnte endlich verstehen, was in meiner Bar wirklich vor sich geht. Ich würde wissen, was meine Gäste voneinander denken, was sie von mir denken. Mein Barhocker scheint mir optimales Brennmaterial zu sein; so würde ich mich nie mehr vor ihnen verstecken können. Vielleicht könnte auch ich nur ein Gast am Feuer sein.
Die Träumerei des großen Feuers befriedigt mich nicht ernsthaft; ich will meine Bar und meine Gäste nicht wirklich aufgeben. Und mir ist der Reiz der Dunkelheit wohl bewusst. Die Verzweiflung verflucht sie zwar für ihre ungerechte Dominanz; schimpft sie unterdrückend, entmündigend. Die Neugier hingegen sieht ihre spielerische Ästhetik, ihre Dynamik. Die Zuversicht betont, dass die Dunkelheit ihren Raum der Unterdrückung mit dem der Fantasie und dem Potentiellen teilen muss. Alles, was sie an ersichtlichen Möglichkeiten nimmt, gibt sie unbegreiflichen Möglichkeiten. Ich kann nicht wissen, was mir die Dunkelheit alles nimmt, aber was sie gibt, ist unausschöpflich. Müsste damit die Neugier nicht immer die Oberhand behalten? Während ich über meine rankenden Gedanken kichere, breche ich meinen Barhocker entzwei.