Als ich die stille Nachtluft verlasse und in den Raum eintrete, laufe ich gegen eine Wand aus dicker Luft, Lärm und buntem Licht. Mein Kopf schmerzt von dem Zusammenprall und ich bleibe gekrümmt stehen, um ihn zu massieren. Als ich mich dann aufrichte, scheint das Feuer auf meine kognitiven Kapazitäten eröffnet zu sein.
Jemand winkt mir zu und ich versuche mich zu erinnern, woher wir uns kennen; jemand läuft gegen meinen Rucksack und ich versuche die Krafteinwirkung auf meinen Körper auszugleichen; jemand fragt, was ich trinken möchte; ein Luftballon wird neben mir hin und her gepasst; mich blenden die Lichter und ich sehe nicht, wer so laut lacht; jemand steigt auf den Stuhl und will den Raum zum Singen bringen; jemand fragt, ob alles in Ordnung ist; jemand ruft meinen Namen; jemand umarmt mich von hinten; jemand gibt mir ein Kompliment; ein Glas zerbricht; ob alles in Ordnung ist; zum Singen bringen; jemand lacht; alles in Ordnung ist; wird ein Getränk gegeben; Glas zerbricht; jemand lacht; Lichter blenden; alle Ordnung; zerbricht; Lichter; Getränk; lach doch; Ordnung; zerbricht; Lichter; ertränkt; Lachen.
Jeder Reiz erwischt mich wie ein winziges Steinchen, die in Menge und Dauer Schmerzen verursachen. Dabei tröste ich mich mit der Möglichkeit, jederzeit auf der anderen Seite der Wand aus dicker Luft, Lärm und buntem Licht Deckung suchen zu können. Die Luft ist so dick, ich müsste darüber streicheln können. Wenn ich mich genauer umsehe, finde ich Menschen, die auf den Schallwellen surfen und sich von den bunten Lichtern anmalen lassen. Ein paar von diesen lerne ich in der Bastelecke kennen.
Hier beobachte ich, wie Menschen die kleinen Steinchen, die mich schon den ganzen Abend reizen, auf einen dünnen Faden fädeln. Seelenruhig nehmen sie einen Stein nach dem anderen und lassen ihn auf das durchsichtige Band fallen. „Ich verstehe nicht“, sage ich, „Warum tun sie euch nicht weh?“ Wie in Zeitlupe sehe ich mich einen Stein auf den Tisch legen, darauf sind meine Lippen abgebildet. Eine Person mit hellen Augen verfolgt meine Geste und nimmt das Steinchen auf, betrachtet es erst, dreht es in ihrer Hand zurecht und fädelt es dann sorgsam auf ihre Kette. „Wir verarbeiten sie zu Ketten“, sagt sie daraufhin, „Ja, aber wie?“, frage ich ungeduldig. Wieder sehe ich mich einen Stein auf den Tisch legen, dieses Mal sind meine Augen darauf zu sehen. Langsam nimmt die Person den Stein und fädelt ihn mit ruhigen Handgriffen auf ihre Kette. „Nimm eine Perle, die dir gefällt, finde den Zugang und fädle sie dann auf deine Kette“, sagt die Person und ich sehe sie einen Stein auf den Tisch legen, der ihre Hände abbildet. Vorsichtig nehme ich ihn an mich und betrachte ihn. Es ist eine runde Perle, mit einem großen Loch in der Mitte. Sie hat eine helle Oberfläche und scheint mir recht unaufdringlich. Ich nehme meine Kette vom Hals und fädle die Perle behutsam darauf. „Danke“, meine ich und lasse meinem Gegenüber zum Abschied eine wunderschöne Perle da.
Wieder im Schlachtfeld des Spaßes bemühe ich mich, ein paar der prasselnden Steinchen abzufangen und auf meine Kette zu fädeln. Als Erste lasse ich die Perlen, die in das bunte Deckenlicht getaucht wurden, auf meinen Faden fallen. Mit einem beruhigenden „Klack“ ordnet sich dieser Reiz nach meinem Willen. Auch eine Perle mit einem Glas darauf, eine mit wunderschönem Lächeln und ein paar mit schwungvollen Schallwellen fädle ich auf meine Kette. Als ich versuche, den Stein mit dem Luftballon zu fassen, fällt er mir aus den Fingern. Ich hebe ihn auf und versuche es erneut, da muss ich feststellen, dass der Faden voll ist. Es passen keine Perlen mehr auf meine Kette. Ich hebe den Kopf und wie vorhin scheint das Feuer auf meine kognitiven Kapazitäten eröffnet zu sein.
Die Person, die mir vorhin gewinkt hat, spricht mich, an und ich versuche zu überspielen, dass ich mich nicht an sie erinnere; der Luftballon fällt auf meine Schulter; Stühle werden verschoben und machen kreischende Geräusche; jemand ruft mir zu ich solle den Luftballon passen; die Person erzählt mir etwas; ich hebe den Ballon auf; ich konzentriere mich auf eine freundliche Mimik; ich bitte Menschen neben mir Platz zu machen; ich versuche zuzuhören; freundliche Mimik; ich reiche den Ballon weiter; sie macht einen Witz; gern geschehen; ich lache; Stühle kreischen; sie stellt eine Frage; meine Mimik; sie fragt nach; Kreischen; Mimik; Frage; kreischend; nach; Ordnung.
Meine Kette entgleitet mir während dieses Feuers. Es fühlt sich an, als sei sie zerrissen. Die sorgsam aufgefädelten Perlen fallen wie Regentropfen eines Gewitters auf den Boden und werden wieder zu spitzen Steinen. Ich gehe in die Knie und lasse mir von dem steinbedeckten Boden absolute Überforderung ins Gesicht schreien. Ich will unsichtbar sein; aus Angst, Menschen würden auf die Steine treten und sich daran verletzen.
„Kannst du mir helfen?“, frage ich die Person mit den hellen Augen, nachdem ich zurück zur Bastelecke gekrochen bin, und zeige ihr meine Kette. Sie nickt und fädelt. Dankbar warte ich ab. „Du hast einen Knoten in deiner Kette“, sagt sie dann. Sie ist also nicht gerissen, denke ich, und betrachte meine Kette, wie sie sich zwischen meinen Fingern windet. Tatsächlich verhindert ein Knoten, dass die Perlen auf rutschen können und so ist ein Teil des Fadens völlig nackt. Er räkelt sich in schlaffer Manier und ist von Langeweile genervt. „Was bedeutet das?“, frage ich und drücke ihr eine Perle in die Hand, auf der sich meine Augenbrauen mittig nach oben ziehen. Sie fädelt die Perle zum Verrücktwerden langsam auf ihre Kette. Dann nickt sie wieder und betrachtet den Knoten in meiner Kette. „Manche Ketten sind verknotet. Meine auch, aber der Knoten ist viel kleiner als bei dir, sodass die Perlen einfach nur etwas langsamer darüber rutschen. Tut mir leid“, sagt sie und legt eine Perle auf den Tisch, die meinen Knoten abbildet. Ich starre die Perle an. Wie gelähmt starre ich diesen schweren Stein an. Die Vorstellung, ihn mein Leben lang um den Hals tragen zu müssen, verweigert sich mir. Hastig versuche ich, den Knoten meiner Kette zu lösen. Drücke und schiebe daran herum. Ich kann keine Freude daran haben, diesen hässlichen Knoten zu einem Teil von mir zu verarbeiten. Dann lasse ich mich wieder von der Vorstellung lähmen, ihn mein Leben lang um den Hals tragen zu müssen, und starre auf den Tisch. Mitfühlende, helle Augen legen sich als kleine Perlen in mein Sichtfeld und fragen „Darf ich dir helfen?“. Ich nehme sie bereitwillig an. In ihren üblichen, langsamen Handgriffen fasst die Person mit den hellen Augen nach dem Stein mit dem Knoten vor mir. Mit der anderen greift sie in Richtung meines Halses. Ich nicke. Daraufhin fädelt sie den Stein auf meine Kette.
Ich beginne zu glauben, dass mein Faden nicht gerade war und dann durch Auswirkungen von außen verknotet wurde. Meine Kette scheint schlichtweg verknotet gewachsen zu sein. Ich erlaube mir durch diese Einsicht müde zu werden und lasse mich davon tief in den Sitz drücken. Mit hängenden Schultern und meinem Kinn auf dem Tisch bleibe ich erst einmal in der Bastelecke sitzen und schaue den anderen beim Fädeln zu. Eine ausgesprochen beruhigende Beschäftigung. Erst als ich das Ende meiner Kette, mit dem ich die Ösen der Perlen finden muss, wieder fest in meiner Hand spüre, wage ich mich ein letztes Mal in die dicke Luft, den Lärm und die bunten Lichter.